Frankfurter Kunstverein e.V.
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AUSSTELLUNG

08.01. - 30.01.2009
Di - Fr 14 -18 Uhr Galerie B, Haus der Künste, Lindenstr.4

Maltreff (Frankfurter Gesichter)

 

Vernissage
Donnerstag, 08.01.09, 19.30 Uhr


Eröffnungstext

Der Maltreff des Frankfurter Kunstvereins präsentiert etwa 40 Arbeiten von Heidi Kasper, Heidi Weber, Irmgard Hofmann und Erhart Weber.
Der Titel der Ausstellung lautet „… aus sich heraus…“. Er ist sicherlich programmatisch, weil er auch die Quelle der künstlerischen Schaffenskraft benennt. Ganz „aus sich heraus“ aber arbeiten die vier Künstler nicht, einerseits weil ihnen der monatlich stattfindende Maltreff ja den schöpferischen Austausch ermöglicht, andererseits, weil zumindest drei der vier eine langjährige Schule bei Werner Voigt im Mal- und Zeichenzirkel des Halbleiterwerkes Frankfurt (Oder) hatten.

Wie dieser Mal- und Zeichenzirkel dann im Amateurkunstverein aufging oder auch ganz anders, das erzählt uns gleich Erhart Weber und darüber können wir später im Galeriegespräch plaudern, zunächst folgen, wie Sie es gewohnt sind, einige einleitende Worte:

Manchmal erscheint den Menschen ihre Welt dergestalt verlottert, dass sie wieder nach dem Anfang fragen.
Was also ist der Anfang der Kunst, fragt der "Couchpotato".
„Couchpotatos“ nennen wir eine Sonderform des homo sapiens, die im 21.Jahrhundert ihre ganze Kreativität und Schöpferkraft auf die Betätigung der Fernbedienung und den Griff in die Chipstüte von der Couch aus beschränkt. Völlige Passivität und den Blick starr auf den Fernsehbildschirm gerichtet.

Bei Günter Jauch und Elke Heidenreich kann sich der Zeitgenosse dann mit Informationen in etwa folgender Art füttern lassen:
Kulturanthropologie / Volkskunde versteht sich als ein Fach, das sich mit der Kultur der „einfachen Leute“ in der Vergangenheit und Gegenwart auseinander setzt. Der Volkskunde kommt dabei die Aufgabe zu, einen Bezug zum alltäglichen Leben herzustellen. Statt über die Kultur als Ganzes nachzudenken, konzentriert sie sich auf Aussagen zu überschaubaren Bereichen.
Die Volkskunst, z.T. auch Heimatkunst genannt, bezeichnet das bildnerische und kreative Schaffen jenseits der klassischen bzw. modernen Künste, meist eingebunden in traditionelle handwerkliche oder häusliche Produktion.
Beim Zappen mit der Fernbedienung kann man aber auch bei „Taff“ oder „Brisant“, also auf anderen Sendern landen, wo dann vielleicht getitelt würde:
Volkskunst heute?
Vogelscheuchen, Hobby-Künstler, Vorgarten-Kunst, Fronleichnamsteppiche, Krippen, Graffiti, Motorrad-Tanks, Autobemalungen, Tätowierungen, Punk-Ästhetik.
Und sehr selbstbewusst könnte dann ein 15jähriger Bursche, der das Basecup mit dem Schirm zur Seite oder nach hinten trägt, in die laufende Kamera nuscheln: So wie Jodeln oder Häkeln gehören Graffitis zur Volkskunst. Volkskunst hat ja u.a. den Sinn, sich in der Welt zu verwurzeln, sich in ihr heimisch zu machen. Graffitis sind in diesem Sinne Kunst des Volkes und sie sind Jedermann zugänglich. Graffitis sind sogar global, während Volkskunst früher regional war. In Graffitis finden sich Elemente, Formen und Farben aus der ganzen Welt wieder. Graffitis werden als „Schmierereien“ diffamiert und verboten. Dass so mit einer Volkskunst verfahren wird, ist skandalös.
Von Schutzmännern in Uniform würde der junge Mann dann aus dem Bild geführt werden.
„Spiegel-TV“ auf noch anderem Kanal bringt eine fundierte Reportage über die Verdienste von Henri Rousseau und damit kommen wir unseren vier Künstlern wohl endlich näher:
Die Entdeckung der Volkskunst durch die Kunstwissenschaft im ausgehenden 19. Jh. als historisch wie ästhetisch wertvoller Teil der Kultur ging einher mit dem zunehmenden Verschwinden dieser Erscheinung in den sich industrialisierenden europäischen Gesellschaften. Ein Aufkommen im Verschwinden also.
Henri Rousseau (1844-1910) war Autodidakt und Sonntagsmaler, der erst im Alter von 40 Jahren so richtig mit dem Malen anfing. Anfangs wurde er belächelt und auch heute noch gibt es viele, die seine Kunst nicht ernst nehmen.
Im Jahr 1868 nahm Rousseau eine Stelle beim französischen Zoll an. Seine Aufgabe bestand darin, an einer Zollstation am Rande von Paris Abgaben von den örtlichen Bauern, die ihre Waren auf die Pariser Märkte brachten, zu erheben. Daher stammt sein späterer Beiname Der Zöllner. Sein Job bei der Zollverwaltung ließ ihm genug Zeit zum Malen. Im Jahr 1884 erhielt Henri Rousseau eine Erlaubnis Kopien und Skizzen in den staatlichen Museen von Paris anzufertigen. Im Jahr 1885 wurden zwei seiner Gemälde im Salon des Champs-Elyssées ausgestellt. Von 1886 bis zu seinem Tode stellte er jedes Jahr im Salon des Indépendants aus. Dies war die Ausstellungsplattform der Avantgarde-Künstler, wo es keine Jury gab und wo für eine Gebühr jeder Künstler ausstellen konnte.
Irgendwie machte Henri Rousseau einige Avantgarde-Künstler auf sich aufmerksam.
Im Jahre 1908 organisierten verschiedene Künstler unter der Führung von Picasso ein Bankett zu Ehren von Henri Rousseau. Viele bekannte Namen der Avantgarde nahmen daran teil - unter anderem Apollinaire, Robert Delaunay und Wilhelm Uhde.
Vor allem Picasso hatte eine echte Wertschätzung für Henri Rousseau. Und zwei Jahre vor seinem Tode sagte Rousseau ganz unbescheiden zu Picasso:
"Wir sind die zwei größten Maler dieser Epoche. Du im ägyptischen Stil und ich im modernen Stil!"
Mit "ägyptischen Stil" meinte Rousseau die Elemente afrikanischer Stammeskunst, die Picasso und andere Künstler assimilierten, als sie den Kubismus schufen.
Mit „modernem Stil“ meinte er seinen eigenen. Er schien in seiner eigenen Welt zu leben.

„Couchpotatos“ sind die hier ausstellenden vier Künstler nicht, denn sie verbringen einfach viel Zeit mit dem Zeichen, dem Malen und Drucken. Ähnlich Rousseau ist ihnen das Malen zur Passion geworden, das unakademische Herangehen ist aus meiner Sicht in der Kunst der Gegenwart eine schätzenswerte Nuance im Kontext von minimalistischer Kunst oder Konzept-Art.
Jeder der hier ausstellenden Künstler stellt sich biografisch in einem Rahmen an der Wand vor, sodass ich da nichts sagen will.
Heidi Kasper präsentiert uns 13 Arbeiten und einen herrlichen Strauß trockener Gräser, der sich schnell mit den Oderlandschaften verbindet.
Die 13 mittel- und kleinformatigen Arbeiten, die sie zeigt, sind überwiegend im Jahr 2008 entstanden. Sie entwickelt auf den Leinwänden eine aquarellierende und pastellartige Acrylmalerei in harmonischen Farbklängen. Sie arbeitet gegen-ständlich oder verweist auf die gegenständliche Welt, die Landschaften könnten auch offen sein für symbolische Deutungen, mir gefallen sehr die beiden Porträts, das Porträt „Franz“ zeigt einen jungen Mann, dessen Augen Zwiesprache mit dem Betrachter halten.
Die Arbeiten von Irmgard Hofmann, 12 Stück, viele kleinformatig, bestechen durch ihre Vielgestaltigkeit und den scheinbaren Pluralismus der Stile. Tatsächlich aber wirkt ihre Handschrift recht klar, mit einer Vorliebe für expressive Farbigkeit und ornamentales Spiel. Ich denke, und einige Titel und biografische Bezüge deuten darauf hin, dass Irmgard Hofmanns Arbeiten in starkem Maße selbstbeschreibend und selbstreflektierend sind. Ich könnte mir vorstellen, dass das Malen für sie ein wichtiges Ventil der Lebensbewältigung ist. Besonders kraftvoll finde ich das Bild „Licht im Dunkeln“ aus dem vergangenen Jahr.
Heidi Weber entwickelt in den beiden Arbeiten zur Musik eine eigene auf Form- und Materialexperimenten basierende Technik. Beide Arbeiten haben einen satten dunklen Klang. Die comicartige Arbeit im kleinen querformatigen Rahmen besticht durch ihre Geradlinigkeit und Offenheit. Der Titel ist eindeutig: „Markendorf“. Sie wissen schon: Das Klinikum.
Erhart Weber, den wir unter anderem von seiner thematischen Einzelausstellung zum Gebiet um die Fischerstraße, vor zwei Jahren in ebendiesen Räumen kennen, der zeigt uns die breite Palette seines Könnens: Die ansprechenden Radierungen und Monotypien, auch ältere Arbeiten, Frankfurt bezogenes und für mich völlig überraschend eine Arbeit, die auf der Staffelei herausgehoben ist und die vielleicht nur für mich einen großen Humor zeigt: Die Konzertpause.
Ich wünsche dieser Ausstellung viel Erfolg und danke den vier Künstlern für ihr Egagement beim Aufbau.

Winfried Bellgardt
Januar 2009