SICH EINEN KOPF MACHEN
Marc Haselbachs Finissage in der Galerie B
Der Berliner Bildhauer Marc Haselbach war drei Wochen Gast beim
Frankfurter Kunstverein. In der Galerie B findet am Donnerstag,
22.März,
um 19.30 Uhr eine Finissage seiner Arbeit im Rahmen des Projekts "Regenerativverfahren" statt.
Wie angekündigt hat er in der Galerie B nur gezeichnet.
Typische Bildhauerzeichnungen. Seine Figuren und Köpfe sind
sozusagen Skulpturen ohne Endfertigung und als solche wie "verlorene
Zeichnungen" formuliert. So heißt bekanntlich, was
auf Stein oder Holz notiert wird, um anzuzeigen, was weggeschlagen
werden und was bleiben kann. Was bleibt von dieser Ausstellung?
Der Besucher sieht raffinierte Raumgitter,
die das Hineindenken in die Physiognomie unterschiedlichster
unbekannter Menschen erlauben. "Zeichne
unbekannt im Unbekannten. Stelle das Zufällige auf die
Hinterbeine und kitzle das Unausweichliche am Knie," sagt
Marc Haselbach selbst.
Man fühlt sich auf Baustellen versetzt, wo Eisenbieger
die Körbe für Fundamente flechten. Oder denkt an
zerbeulte Einkaufswagen, Fechtermasken. Es sind aber alles
Menschen. Ohne Gesicht zwar, aber gleichsam vom inneren Gesicht
her gesehen. Gebogen, geformt, verformt und schließlich
hingebogen. Was zuerst als kopflastige Netzwerkkonstruktionen
erschien, erweist sich als Charakterkopf. Obwohl Marc Haselbach
auch Linien setzt, die Kopf oder Figur als Ganzes umreißen,
dominieren doch die Linien, die die Gestalt von innen aus Raumschichten
aufbauen. Dabei wird ein Antlitz völlig vermieden. Ohne
dass es eigentlich
vermisst wird. Denn Antlitz ist Oberfläche, vielleicht
Zufall, vielleicht Maske. Aber hinter ihm ist Eigentliches,
ist Struktur, Raster, Charakter. Erst dort werden die menschlichen
Zwischenräume und Nieschen anschaulich,
erlebbar, einsehbar, ja gleichsam begehbar. Das Gesicht kann
immer vorgestellt werden. Struktur muss da sein.Allerdings
wird die Imagination des Betrachters gefordert. Vielen fällt
es aber bekanntlich schwer, eine Fläche mit ihren zwei
Dimensionen als Raum zu fühlen, zu denken, zu erleben.
Das ist eine Schwierigkeit.
Starke, vertikale und lange Strichfolgen
ermöglichen
bei Haselbach durchaus schnell und nachvollziehbar räumlich-plastische
Vorstellungen. Die Linien stellen nichts direkt dar, sondern
erlangen durch ihre scheinbar absichtsvolle Kritzelspur ihren
eigenen Charakter und Ausdruck, sowohl für
sich allein als auch im Zusammenspiel mit anderen ebenso eigensinnigen
Linien und bilden zusammen Räume. Dazwischen Aussparungen
und Spannungsflächen
zum Hineindenken. Der freie Umgang mit den getuschten schwarzen
Linien reizt vor allem dieses räumliches Zusammenspiel
aus und ermöglicht eine nahezu serielle
Produktion erstaunlich
unterschiedlichster Köpfe und Figuren. Allein schon der
gesättigte oder trockene "gequälte" Strich
schafft Manigfaltigkeit, ohne grau oder gar flach zu wirken.
Die Art des Striches, fett fließend oder drahtig
spröde, dickbalkig oder in feinsten Verwirbelungen erodierend,
zerfasernd oder punktuell zerbröselnd erscheint in immer
wieder anderen Ansätzen und großer
Dichte und Konzentration. Schließlich lesen sich Haselbachs
Bilder nicht wie hingeworfene Arbeitsskizzen, sondern werden
selbständige grafische Signaturen verschiedener
Menschen.
Faszinierend, wie Haselbach die immer wieder andere Abgeschlossenheit
des Anderssein als Einmaligkeit, als Signatur von Individualität
erspürt.
Aber kann das überhaupt sein - diese Raumgittergespenster
als Zeichen, gar als menschliche Signaturen? Ist das ironisch
gemeint? Als ironischer Kommentar zum Passbildzeitalter? Nun
ja. Dass ein Kopf innen furchtbar leer sein kann, wird gezeigt
wie auch das Gegenteil. Man ist inwendig voller Kammern und
Zimmer. Man hat was im Oberstübchen oder nicht. Man kommt
anders aus dieser Galerie B heraus als man hineinging. Man
sieht plötzlich die Menschen
anders an, die vor dem Haus der Künste das Frankfurter
Zentrums bevölkern.
Es ist nicht so sehr die Mimik von Gesichtern, eher der Gestus,
der gezeigte Staatus. Man hält unwillkürlich Aussschau,
ob einem nicht jemand begegnet, den man gerade bei Marc Haselbach
kennengelernt hat.
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